Grafing besiegt Tabellenführer in einem turbulenten Zweitliga-Krimi
von Johannes Oswald
Grafing – Den größten Verschleiß als frischgebackener Zweitliga-Coach bei den Volleyballern des TSV Grafing bemerkt Markus Zymmara, 30, aktuell immer erst dann, wenn er Trainingsanzug gegen den feinen Zwirn eintauscht. „Montags im Büro schauen mich bei den Meetings jetzt immer alle wie sonst was an, weil ich kaum noch Stimme habe. Da muss ich mir langsam was einfallen lassen.“
Es ist davon auszugehen, dass er an diesem Montag wieder um Stimme ringen muss. Zu kräftezehrend war das Spitzenspiel am Samstag gegen Spitzenreiter Gotha – nicht nur für Zymmaras Stimmbänder. Die Gäste aus Thüringen hatten aus ihren beiden Auftaktsiegen merklich Selbstvertrauen gezogen und mit Außenangreifer Robert Werner und Diagonalangreifer Erik Niederlücke zwei brandgefährliche Offensiv-Waffen im Gepäck. Dass man sich gegen diese Qualität auf der anderen Netzseite keine Schwächephase leisten kann, mussten die Bärenstädter gleich im ersten Satz feststellen.
„Spätestens danach erwarte ich eigentlich, dass alle wissen, was die Stunde geschlagen hat“, ärgerte sich Markus Zymmara nach einem ersten großen, mannschaftlich geschlossenen Kraftakt zum 1:1-Satzausgleich in den nachfolgenden drei Durchgängen maßlos über eine gewisse Selbstgefälligkeit. „Da hat uns anfangs immer komplett die Spannung gefehlt. Da müssen wir noch abgezockter werden.“
So aber mussten sich die zunächst schlafmützigen Grafinger stets wie Zecken an die Fersen der Thüringer klammern, um sich dann gegen Satzende wieder auf Augenhöhe hoch zu ziehen.
Blieb die Aufholjagd im dritten Durchgang noch erfolglos, registrierte Zymmara anschließend auf der Gästeseite einen ersten Knackpunkt: „Ihr Diagonalspieler ist plötzlich sehr stark weggebrochen. Dadurch ist ihr Spiel eindimensionaler geworden und wir haben ihnen in der Mitte reihenweise die Zähne gezogen.“ Ohnehin könne er mit seinen Mittelblockern Thomas Stretz und Henning Schulte „aktuell sehr zufrieden sein“.
In der eigenen Feldabwehr hat Zymmara indes die größte Grafinger Schwachstelle ausgemacht. „Da haben wir gerade niemand, der da souverän zum Ball geht.“ Ein paar Abstimmungsprobleme in der Feldmitte trugen auch ihren Teil dazu bei, dass die offiziell 112 Fans nach knapp zwei Stunden Spielzeit nichts mehr auf den Zuschauerbänken in der Jahnsporthalle hielt. „Das waren gefühlt 300 Zuschauer, die uns im vierten Satz belohnt haben, weil wir uns wieder ran gekämpft haben“, so der TSV-Übungsleiter.
In einem packenden Satz-Finale wehrten die Grafinger vier Matchbälle für Gotha ab und verwandelten im Block ihrerseits ihren insgesamt siebten Satzball zum 2:2-Ausgleich. „Wir können uns aber auch nicht beschweren, wenn wir 1:3 verlieren, weil wir entweder zu ängstlich oder zu mutig in den entscheidenden Situationen waren“, räumte Zymmara ein und ärgerte sich erneut, nachdem er im Tiebreak frühzeitig bei 1:5 seine letzte Auszeit nehmen musste.
Doch auch Gotha hatte mittlerweile Kraft gelassen, was sich im schwächelnden Aufschlagsspiel bemerkbar machte. Ein weiterer Knackpunkt laut Zymmara. „Wenn die den Ball nur noch einschmeißen, wird‘s gegen Fabi Wagner, einen der besten Zuspieler, und die stärkste Annahme der Liga mit Benno Voggenreiter, Flo Krenkel und Bene Doranth, natürlich ganz schwer.“
Einmal mehr robbte sich Grafing heran (8:8), erkämpfte sich Momentum (14:10) und tanzte schließlich nach Schmetterschlag von Stretz sowie einem Aufschlagfehler der Gäste ausgelassen im Sieger-Kreis. „Für unsere Moral ist es geil, dass wir solche Spiele auch ohne einen Julius Höfer gewinnen können!“ Der mitgrölende Markus Zymmara wollte später noch eine neue Stimmband-Kur ausprobieren: „Ingwer kauen und mit Tee nachspülen.“ bj